April 18, 2020

„Weit vom Stamm: Wenn Kinder ganz anders sind als ihre Eltern“ von Andrew Solomon

Gibt es auch als Film.

In seiner Studie Far from the tree untersucht der amerikanische Psychiater und Schriftsteller Andrew Solomon, was mit Familien passiert, wenn sie Kinder haben, die sich radikal von ihren Eltern unterscheiden und sie nicht in die Welt zu passen scheinen, in der sie leben. Es ist ein Buch über die Krise zwischen Eltern und Kindern, die einsetzt, wenn der Apfel weit vom Stamm fällt. Theoretisch so Solomon, bedeutet das nicht weniger als das „Scheitern der Reproduktionsphantasien“, das Scheitern eines grundsätzlichen Glaubens, wonach Eltern für gewöhnlich in ihren Kindern fortleben und sich in deren Gesichtern und Verhaltensweisen wiederfinden.

Die Übertragung von Identität in Familien verläuft gemeinhin in bekannten Bahnen: Kinder teilen Ethnie und Sprache mit ihren Eltern, in der Regel bestimme Aspekte ihres Aussehens und Auftretens und eine Art, die Welt zu sehen. Das nennen Solomon eine vertikale Identität, weil die Merkmale von Generation zu Generation weitergegeben werden. Problematisch wird es jedoch, wenn Kinder eine andere Identität aufweisen als ihre Eltern, wenn sie etwas schwul, lesbisch oder transgender sind, wenn sie eine Identität erlangen, die von der Familien nicht vermittelt werden kann und elf nicht einmal vermittelt werden darf.

Die grundsätzliche Andersartigkeit des Kindes, so noch einmal Solomon, verlangt ein Wissen und eine Kompetenz, über die die meisten Eltern zunächst nicht verfügen, sie verlangt Handlungsweisen, die sie lange überfordern. Die fremden Identitäten werden in den meisten Familien als Fehler angesehen, was das jeweilige Kind, aber auch seien Eltern in eine Identitätskrise stürzt. Mit ihnen geht eine Verletzbarkeit der betreffenden Kinder einher, die auch für die Eltern nur schwer auszuhalten ist und sie ihrerseits verletzbar macht. Sie führen zu einer alles durchdringenden Scham, die eine Dynamik von zum Scheitern verurteilten Anpassungsversuchen, von Täuschung und Selbsttäuschung in gang setzt, eine Dynamik, die, wenn überhaupt, erst viele Jahre später wieder durchbrochen werden kann.

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